Hannoverscher Oratorienchor mit Spohr und Hindemith
VON AGENS BECKMANN (HAZ zum Konzert am 3. Nov. 2013)
Die Begriffe ungewöhnlich und ausgefallen können den Werken, die der Hannoversche Oratorienchor in der Markuskirche präsentiert, auf jeden Fall attestiert werden. Zudem sind die Stücke eigenwillig angeordnet. Louis Spohrs gemäßigtes Oratorium „Die letzten Dinge“ wird quasi aufgebrochen durch die zwischen dem ersten und zweiten Teil eingefügten Sätze aus der Paul-Hindemith-Kantate „Appareberit repentina dies“. Danach, so die Intention von Dirigent Stefan Vanselow, werde man den zweiten Teil des Oratoriums anders hören.
Besonders bei den dramatischen Passagen begeistert Tenor Jörn Eichler mit seinem warmen Timbre und seiner farbenreichen Stimme. Young-Myoung Kwon mit seinem dunkelschönen, satten Bass steht ihm in nichts nach. Tanja Lea Eichler glänzt durch leidenschaftlichen ausdrucksstarken Sopran, ebenso gefällt Monika Walerowicz mit sinnlichem Mezzo und bewegendem Ausdruck. Die Nordwestdeutsche Philharmonie leitet beide Teile mit ausgedehnten Passagen ein. Mit schönen Klangfarben und, wo nötig, mit dramatischem Impetus gelingt es Vanselow, einen spannungsgeladenen Bogen über den Verlauf der Handlung zu legen. Der Chor überzeugt durch stimmgewaltige, ausladende Breite und erfreut mit eindringlicher Textgestaltung und ergreifenden Klagen. Ob die Zuschauer den zweiten Teil wirklich anders hören, bleibt ungewiss. Gewiss (da hörbar) ist, dass ihnen der Abend gut gefallen hat.
Der Hannoversche Oratorienchor in der Markuskirche
VON ANDRÉ MUMOT (HAZ, 30. Nov. 2009)
Wenn einem ein Chor zur Verfügung steht, der solch seidigsanften Wohlklang herzustellen weiß, kann man ihm auch getrost solch ein Stück auf den vielstimmigen Leib schneidern. Peter Francesco Marino, Leiter des Hannoverschen Oratoriencbores, hat das Gedicht „Der Tod, das ist die kühle Nacht" von Heinrich Heine vertont und damit „seinem" Ensemble Möglichkeit zum Glänzen gegeben. Von verhaltenen Streichern begleitet, lassen sich die Sängerinnen und Sänger ätherisch ins Jenseits forttreiben, machen das zehnminütige Werk zum ungebrochen Schwelgen in Tod und Verklärung.
Aber diese wehmütige Lebensaushauchung ist nur die Einstimmung zum großen Konzert in der Markuskirche. Hauptsächlich geht es um Antonin Dvoraks „Stabat Mater", also um anderthalb Stunden großer romantischer Trauermusik. Um ein Oratorium, das ergreifen muss, wenn es funktionieren soll, schließlich hat Dvorak hier die eigene Verzweif1ung über den Tod seiner Tochter verarbeitet. Jede Note ein Schmerz und zugleich ein Versuch, mithilfe der Kunst durchzuhalten, Hoffnung zu gestalten.
Das „Prager Symphonieorchester Bohemia" scheint in den ersten Takten noch im Ungefähren zu bleiben, tastet sich unentschlossen voran. Umso entschiedener absolvieren die Musiker dann aber die machtvolle Steigerung, die das Publikum mitten hineinkatapultiert in die tosenden Verzweiflungsstürme. Hier müssen sich auch die Solisten bewähren, um den großen Orchesterwogen empfindliche Innerlichkeiten entgegenzusetzen. Sopranistin Stephanie Forsblad hat dabei mit einer Erkältung zu kämpfen und kann sich nicht immer durchsetzen. Dafür kommt dann aber die verletzliche Zartheit ihrer Phrasierung besonders eindringlich zur Geltung. Altistin Ilona Markarova und Bass Shavlek Armasi steigen mit spannungsvoller Verve in die Traurigkeiten ihrer Partien, und Tenor Dirk Schmitz überzeugt mit metallisch scharfer, gleichwohl flexibel lyrischer Stimme.
Orchester, Chor und Solisten finden nicht nur zu klanglicher Homogenität, sondern auch zu einer gemeinsamen Aufgabe: die tiefe, innere Betroffenheit von Dvoraks bekenntnishaftem Werk so auszuformen, dass man im Publiktun gar nicht anders kann, als sich rühren zu lassen.